Meeresschildkröten auf den Balearen – Zwischen bedrohten Caretta-caretta, neuen Brutstränden und unserem Verhalten am Meer
Wenn du heute an einem Strand auf Mallorca oder einer der Nachbarinseln stehst, wirkt alles erst einmal ganz normal: Liegenreihen, Familien im Wasser, Boote in der Ferne, das übliche Urlaubsleben am Mittelmeer. Und doch hat sich im Hintergrund etwas Entscheidendes verändert. Immer häufiger tauchen Meldungen über Meeresschildkröten auf, die vor den Balearen gesichtet werden oder nachts an den Sand kommen, um Eier abzulegen.

Die Inselgruppe liegt mitten im westlichen Mittelmeer, wo sich Strömungen, Wanderrouten und warme Wassermassen treffen, und wird gerade für eine uralte Art wieder interessant. Gleichzeitig bleiben die Tiere stark bedroht, durch Beifang in der Fischerei, Plastikmüll, Licht am Strand und den Druck einer beliebten Ferienregion.

Zwischen Sonnenuntergang und Sternenhimmel spielt sich eine Geschichte ab, die viel länger dauert als jeder Urlaub, und genau das macht Meeresschildkröten auf Mallorca zu einem Thema, das dich schnell berührt. Wenn du einmal erlebt hast, wie winzige Jungtiere in der Dämmerung zum Meer laufen, schaust du nie wieder gleich auf Sand, Wellen und die Spuren im Strand.
Wer hier ankommt: Die Rolle der Caretta-caretta im Balearenmeer
Im Mittelpunkt steht vor allem die Unechte Karettschildkröte, wissenschaftlich Caretta caretta, die häufigste Meeresschildkröte im Mittelmeer und eine Art, die in Spanien als „verletzlich“ beziehungsweise „gefährdet“ geführt wird. Erwachsene Tiere können rund einen Meter Panzerlänge erreichen, mit einem kräftigen Kopf, der Muscheln, Krebse und andere hartschalige Beute knacken kann.

Lange Zeit galten die Balearen vor allem als Durchzugs und Nahrungsgebiet, während sich die wichtigsten Brutstrände im östlichen Mittelmeer befanden, etwa in Griechenland, Zypern oder der Türkei. Das ändert sich gerade deutlich. Studien zeigen, dass loggerhead turtles zunehmend auch an den westlichen Mittelmeerküsten nisten und dass die Zahl der dokumentierten Nester in Spanien seit den 2000er Jahren stark gestiegen ist. Die Balearen sind Teil dieses neuen Mosaiks: Inseln mit sauberen Stränden, vergleichsweise gut geschütztem Meer und einer Lage, die den Tieren auf ihren langen Wanderungen entgegenkommt.
Erste Nester und ein wachsendes Netz aus Helfern
Der Wandel wurde für Mallorca und die anderen Inseln sichtbar, als ab Mitte der 2010er Jahre die ersten echten Nistversuche registriert wurden. In den Jahren 2019 und 2020 wurden auf Ibiza und Menorca mehrere Nester entdeckt, 2020 gleich drei Gelege in der Inselgruppe, zwei davon auf Menorca, eines auf Ibiza. Danach folgten weitere Sommer mit vereinzelten Brutversuchen auf Formentera und an der spanischen Festlandküste.
2023 rückte besonders Mallorca in den Fokus: Im Archipel wurden neun Brutversuche dokumentiert, sechs bestätigte Nester lagen auf den Balearen, davon drei auf Mallorca und drei auf Ibiza, unter anderem an städtischen Stränden wie Can Pere Antoni in Palma. Seitdem vergeht kaum eine Saison, in der nicht irgendwo im Inselnetz ein neues Nest entdeckt wird, sei es auf einer Stadtbucht oder an einem eher ruhigen Küstenabschnitt.

Jedes Gelege löst eine Kette von Maßnahmen aus: Fachleute sichern die Stelle, prüfen die Lage im Hinblick auf Wellen, Erosion und menschlichen Druck und entscheiden, ob die Eier bleiben oder an einen geschützteren Abschnitt verlegt werden. Parallel wächst ein Netzwerk aus Behörden, Wissenschaft, Aquarien, Meeresschutzorganisationen und Freiwilligen, das Meldungen entgegennimmt, Strände überwacht und Schulungen anbietet. Ein wichtiges Bindeglied ist das Meeresfauna Zentrum von COFIB, das 2019 gegründet wurde, um genau mit diesen neuen Nistsituationen umgehen zu können.
Head-Starting, Auswilderungen und was hinter den Kulissen passiert
Wenn du in den Nachrichten Bilder von Jungtieren siehst, die an einem Strand wie Can Pastilla oder Es Cavallet freigelassen werden, steckt dahinter viel Arbeit, die du im Urlaub kaum wahrnimmst. Ein Teil der Schlüpflinge aus Balearen Nestern wird nicht sofort komplett in die Freiheit entlassen, sondern nimmt an sogenannten Head-Starting Programmen teil.
Dahinter steckt die Idee, Meeresschildkröten in den ersten, besonders gefährlichen Monaten ihres Lebens in kontrollierter Umgebung aufzuziehen, damit sie größer, kräftiger und weniger anfällig für Fressfeinde sind, bevor sie ins offene Meer entlassen werden. Projekte wie „Head Start Baleares“, getragen unter anderem von der Palma Aquarium Foundation und Partnern, haben dieses Vorgehen auf den Inseln etabliert. Da in freier Wildbahn im Schnitt nur etwa ein Tier von tausend Schlüpflingen ein adultes Alter erreicht, kann jedes zusätzliche überlebende Jungtier einen Unterschied machen.

In den letzten Jahren wurden immer wieder Gruppen junger Caretta-caretta, die im Vorjahr auf Mallorca geschlüpft waren, nach Monaten in speziellen Becken an Stränden wie Can Pastilla vor Publikum und Medien zurück ins Meer begleitet, ein starkes Bild für Naturschutz, aber auch ein sensibler Moment, an dem viele Hände im Hintergrund gearbeitet haben.
Richtig verhalten: Was du am Strand beachten solltest
Für dich als Urlauber bleibt das Wichtigste: hinsehen, aber nicht eingreifen. Wenn du abends oder nachts eine große Schildkröte am Strand siehst, die sich langsam aus dem Wasser schiebt, gilt in Spanien ein klarer Verhaltenskodex. Offizielle Kampagnen empfehlen, Abstand zu halten, das Tier nicht zu umringen, keine Fotos mit Blitz zu machen, keine starken Lampen auf sie zu richten und vor allem ruhig zu bleiben. Statt selbst etwas zu „organisieren“, rufst du den Notruf 112 an, der auf den Balearen ein spezielles Protokoll auslöst, bei dem geschulte Teams den Strand anfahren, die Situation bewerten und das Nest gegebenenfalls sichern.
Gleiches gilt, wenn du Spuren im Sand, ein frisch gegrabenes Loch, geschlüpfte Jungtiere oder eine verletzte Schildkröte findest, etwa verheddert in Leinen oder Netzen. Auch hier warnen Fachleute ausdrücklich davor, selbst Leinen zu zerschneiden oder Haken zu entfernen, weil unbedachte Hilfe mehr Schaden anrichten kann als Nutzen.

Besser ist es, das Tier im Blick zu behalten, Menschen fernzuhalten und ebenfalls 112 zu wählen, damit das offizielle Rettungsteam aktiv werden kann. Schon am Tag helfen einfache Dinge: Müll vermeiden, Zigarettenstummel nicht im Sand vergraben, keine eigens aufgebauten Lichtquellen in der Nähe der Wasserlinie und beim Bootfahren aufmerksam sein, falls Schildkröten an der Oberfläche auftauchen.
Klimawandel, neue Brutstrände und die Zukunft der Inseln
Dass Meeresschildkröten die Balearen als Brutgebiet neu entdecken, wirkt auf den ersten Blick wie eine Erfolgsgeschichte, ist aber gleichzeitig ein deutliches Klimasignal. Forschungen belegen, dass steigende Wassertemperaturen und veränderte Strömungen dazu führen, dass sich das Nistareal der Caretta-caretta nach Westen ausdehnt und heute auch Küsten in Katalonien, Valencia, Murcia, Andalusien und eben auf den Balearen umfasst. Dass eine bedrohte Art neue Strände erobert, bedeutet nicht automatisch Entwarnung, sondern zeigt, wie stark sich das System Meer bereits verschiebt.
Für Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera ist das sowohl Herausforderung als auch Chance. Strände, die bisher fast ausschließlich als touristische Flächen betrachtet wurden, werden plötzlich auch als potenzielle Kinderstuben einer geschützten Art wahrgenommen. Wenn Gemeinden Beleuchtung anpassen, nächtliche Aktivitäten in kritischen Zonen einschränken, Freiwilligenprogramme stärken und Besucher informieren, profitieren am Ende nicht nur Schildkröten, sondern auch Menschen, die Natur und Sternenhimmel bewusster erleben wollen.
Gleichzeitig machen immer neue Schlüpflinge und erfolgreiche Auswilderungen deutlich, dass Schutzmaßnahmen wirken können, wenn Politik, Wissenschaft, Tourismus und Gäste am gleichen Strang ziehen.
Auch Landschildkröten sind auf Mallorca heimisch
Neben den Meeresschildkröten leben auf Mallorca auch Landschildkröten, die du mit etwas Glück in ruhigen, naturnahen Gebieten entdecken kannst. Besonders charakteristisch ist die Mediterrane Landschildkröte (Testudo hermanni), die auf Mallorca und Menorca in kleineren, teils streng geschützten Populationen vorkommt und lichte Wälder, Buschlandschaften und steinige Hänge bevorzugt. Im Westen der Insel findet man außerdem die sehr seltene Maurische Landschildkröte (Testudo graeca), die offene, sonnige Lebensräume mit niedriger Vegetation mag und als gefährdete Art gilt.

Beide Arten sind scheu und meist in der Morgen oder Abenddämmerung aktiv, deshalb solltest du sie nur aus der Distanz beobachten, auf keinen Fall anfassen oder mitnehmen und auf Wanderwegen achtsam auftreten. Wenn du beim Spaziergang in Schutzgebieten wie der Península de Llevant, in der Tramuntana oder auf Dragonera unterwegs bist, ist jede Begegnung mit einer Landschildkröte ein stiller, besonderer Moment – und eine Erinnerung daran, wie empfindlich die ursprüngliche Tierwelt Mallorcas ist.
Deine Reise, ihre Spuren – und eine Frage an dich
Meeresschildkröten auf Mallorca und den Balearen erzählen von einer Verbindung zwischen Inseln, Meer und Menschen, die über eine einzelne Reise weit hinausgeht. Vielleicht wirst du nie selbst eine Schildkröte am Strand sehen, aber du kannst trotzdem dazu beitragen, dass ihre Chancen hier besser werden: mit deinem Verhalten am Strand, bei Ausflügen aufs Wasser und in dem Moment, in dem du den Notruf wählst, statt ein Selfie zu machen. Jeder respektvoll zurückgelassene Strand, jede gut informierte Entscheidung und jedes Gespräch über das Thema machen einen Unterschied, auch wenn er klein wirkt.
Warst du schon einmal auf Mallorca oder einer der anderen Baleareninseln unterwegs und hast vielleicht selbst eine Meeresschildkröte, ein Nest oder eine Auswilderung erlebt? Wir freuen uns jederzeit über deine Kommentare, Eindrücke und Geschichten zu diesen besonderen Bewohnerinnen des Mittelmeers und natürlich über Mallorca.